Fünf Berufsverbrecher stehlen vier wertvolle Original-Manuskripte des Schriftstellers F. Scott Fitzgerald. Im deutschen Sprachraum ist er am ehesten bekannt für seinen Roman „Der große Gatsby“. Das mag aber eher am Faible für “Roaring Twenties”-Partys und weniger am Roman selbst liegen. Auch der Gatsby ist eines der gestohlenen und namengebenden Originale.
Im beim Heyne-Verlag erschienenen Buch (engl. Titel “Camino Island”) folgen wir vier der Räuber bei ihrer wohl-geplanten Flucht und den Verschleierungsmaßnahmen. Parallel dazu erfahren wir die Geschichte des mysteriösen Buchhändlers Bruce, der sein Ladengeschäft auf der im Englischen titelgebenden Insel hat.
Eine unauffällige Kandidatin
Recht schnell werden zwei der Täter gefasst, sie schweigen jedoch und die Manuskripte bleiben verschollen. Einsatz für Quasi-Hauptfigur Mercer Mann. Mercer ist eigentlich Schriftstellerin, kommt allerdings seit Jahren nicht voran und hat Studienkreditschulden, wie jede echte US-Amerikanerin. Aktuell fürchtet sie das Auslaufen ihres Lehrauftrages an einer Universität.
All das, was hier negativ erscheint, macht sie zur perfekten Kandidatin für die Versicherungsgesellschaft, bei der die Manuskripte aus Princeton versichert sind. Diese ermittelt parallel zum FBI und setzt Mercer nach einigem Hin und Her als „Spionin“ ein. Sie soll sich in das Leben des oben benannten Buchhändlers einschleichen. Ihre Tarnung ist perfekt, ist sie doch fast jeden Sommer ihrer Kindheit auf Camino Island gewesen. Die Versicherungsgesellschaft hat einen Tipp erhalten, welcher zu Bruce führt und will mithilfe von Mercer handfeste Beweise sammeln.
Strand, Schildkröten und Schreiberlinge
Auf fast 400 Seiten erzählt Autor Grisham aus vielen verschiedenen Perspektiven die Geschichte, die sich vom durchdachten Raub, über die Verhandlungen mit der spionage-technisch unerfahrenen Mercer, ihre Zeit auf der Insel, bis hin zur leider wenig spektakulären Auflösung entspinnt. Halbwegs nahe kommen wir in allen Perspektiven nur Mercer, ihre Monate im Spionageeinsatz auf der Insel nehmen einen großen Teil des Buches ein. Sie begibt sich in die Literaturszene der kleinen Gemeinde und lernt viel skurrile Gestalten kennen, die den Reiz des Buches ausmachen.
Zusätzlich begibt sich Mercer auf viele ausgedehnte Strandspaziergänge, trinkt ordentlich Alkohol und beobachtet ausgedehnt eine Schildkröte beim Ablegen ihrer Eier. Ob mir an dieser Stelle eine mystische Analogie zu irgendetwas entgeht, ist mir nicht ganz klar. Als Sommerlektüre, mit der man sich gedanklich so oder so gerne an den Strand begeben möchte, ist das in Ordnung. Von ihren Vorstößen – ohne Schildkröte – in das Leben von Bruce und seinem Umfeld berichtet sie ihrer Auftraggeberin regelmäßig. Mit ihrem eigenen Roman kommt sie nur schwerlich voran.
Grisham erzählt die ganze Geschichte des Raubes
Festgeschrieben scheint– sowohl aus Erzählperspektive, als auch aus ihrer Sicht und aus der der Auftraggeberin -, dass sie eines Tages mit ihrem Zielobjekt im Bett landen wird. Die vermeintliche Spannung zwischen den beiden steht zum Glück nicht im Mittelpunkt der Geschichte, da sie ob ihrer Offensichtlichkeit eher wenig spannend ist. Grishams Figuren bleiben insgesamt eher flach: bei einigen Rollen, die nur zwecks Handlungsfortführung Aufmerksamkeit erhalten, ist das in Ordnung, doch auch Mercer und ihr neuer Freundeskreis sind weiterhin schwer zugänglich. Wir lesen ihre Gedanken und erfahren ihre Gefühle und dennoch kann ich mich als Leserin nur schwer in Mercer hineinversetzen.
Der Roman lässt sich dabei sehr gut in einem Rutsch durchlesen, die Dialoge erscheinen an der ein oder anderen Stelle etwas zu cool um echt zu wirken, sind jedoch trotzdem interessant und natürlich steht auch oft genug die Literatur selbst im Mittelpunkt. Es handelt sich schließlich um ein Buch über Bücher, in dem Menschen, die beruflich mit Büchern zu tun haben, zentral für die Handlung sind.
Viele Vorgänge werden von Grisham im Detail beschrieben, was langweilig werden könnte. In diesem Fall macht es die Handlung spannend, wenn wir erfahren, wie der Raub vorgenommen wurde und auf welchen Wegen die Manuskripte auf den Markt gelangen und potentiell an die Universität als rechtmäßige Besitzerin zurückgegeben werden könnten. Der Roman ist kein Krimi und erst recht kein Thriller, sondern geht eher analytisch an die Teilaspekte des Raubes heran. Gleichzeitig verliert man sich in den heraufbeschworenen Urlaubsbildern von warmen und faulen Sommertagen am Meer.
Am Strand bleibt die Finesse auf der Strecke
Ein wenig unklar sind jedoch einige Gegebenheiten, wie z. B. Mercers Vertrauen – nach anfänglichem Sträuben – in eine ominöse Versicherungsgesellschaft, die einer Privatperson viel Geld für halb-legale Aktivitäten zahlt. Auch Bruce Verhalten erschließt sich nicht eindeutig, da hilft auch der halbherzige und etwas seltsame Epilog nicht weiter.
„Das Original“ beginnt vielversprechend, verliert aber auf der Hälfte der Strecke ein wenig an Geschwindigkeit. Das kam mir angesichts der zähen und zeitkostenden Spionagearbeiten in den Sommermonaten passend vor und ich habe gerne weitergelesen. Doch leider bringt Grisham den Anfangszauber nicht zurück, trotz Perspektivwechseln und detailreicher Beschreibung, enttäuscht mich die Auflösung. Ich warte vergebens auf den großen Knall oder wenigstens einen vermeintlich scharfsinnigen Clou der Geschichte. Der bleibt aus und somit ist das Buch eine nette Sommerlektüre, die ich gut „weglesen“ konnte, bei der ich aber doch froh bin, sie nur in der Bücherei ausgeliehen zu haben.
