Pickel, Partys und Protestanten – Derry Girls

Nordirland. Was war da nochmal? In “Derry Girls” geht’s um eine Clique, die zur Zeit des Nordirlandkonflikts mitten in der Pubertät steckt.

Derry gegen Ende des Nordirlandkonflikts: ein Haufen Teenager an einer streng-katholischen Schule, überall Bomben, besorgte Eltern und nur eingeschränkte Reisefreiheit. Was viel Stoff für eine Drama-Serie geboten hätte, ist zu einem leicht durchgeknallten, liebenswerten und authentischen Netflix-Highlight geworden: I’m in love with the „Derry Girls.“

Erin (Saoirse-Monica Jackson), ihre Cousine Orla (Louisa Harland) und ihre Freundinnen Clare (Nicola Coughlan) und Michelle (Jamie-Lee O’Donnell) leben in den Neunzigern als Teenies im nordirischen Derry (prot. auch: Londonderry), nahe der Grenze zur Republik Irland. Die Vier gehen auf eine katholische Mädchenschule, was sie aber – wie man schnell merkt – nicht gerade zu Nonnen macht.

Die Serie beginnt damit, dass Michelles Cousin James (Dylan Llewellyn) aus London nach Derry zieht und als erster Junge auf die Mädchenschule gehen muss. Ganz schön doof, denn keiner hat daran gedacht, dass es dort nur Mädchentoiletten gibt. Die vier Mädels nehmen ihn widerwillig in ihrer Clique auf, können es aber nicht lassen, ab und zu Witze über den Akzent des “weird english fella” zu machen. Zusammen erleben sie – zwischen Nonnen, Soldaten, Bomben und Terroristen im eigenen Kofferraum – verrückte Zeiten, die momentan angesichts des Brexits nur wieder allzu aktuell zu sein scheinen.

Wie war das nochmal mit Irland?

Neben normalen Pubertätsproblemen, kommen im Nordirland der Neunzigerjahre nämlich auch noch handfeste Konflikte dazu. So kann es schon mal passieren, dass der Schulbus einen einstündigen Umweg machen muss, weil an einer Brücke auf dem Schulweg leider eine Bombe hängt. Das nehmen die Mädels eher locker, ihre Eltern nicht. Die Fronten, wer gut und wer böse ist, scheinen klar zu sein. Oder wie Schwester Michael (Siobhan McSweeney) zu einer Gruppe Austauschschüler aus Tschernobyl sagt: „Macht euch nicht zu viele Gedanken über dieses ganze Bürgerkriegs-Gerede. Es gibt nur eins, was ihr wissen müsst: Wir sind die Guten.“ Aber denkt das nicht eigentlich jeder?

(Zur Info: Die Serie spielt in Nordirland, was damals und auch heute zum United Kingdom gehört. Die Stadt Derry liegt jedoch nah an der Grenze zur Republik Irland, weswegen sie oft Schauplatz der bürgerkriegsähnlichen Konflikte zwischen den Unionisten (protestantisch, England-nah) und den Nationalisten (katholisch, wollen ganz Irland als freie Republik) war. Die Derry Girls und ihr Umfeld sind katholische Nordiren. Hier mal ein Video, das alles knapp erklärt. Und noch ein aktuelles Video zum Konflikt von follow.me reports. )

Die Charaktere machen die Serie aus

Schwester Michael ist ein gutes Beispiel für den Humor der Serie. Die eigentlich brav lebende katholische Obernonne der Schule weist die Mädchen (und James) mit ihrem trockenen und bitterbösen Humor in ihre Schranken, drückt aber gerne auch mal ein Auge zu. Die Serie lebt von den vielen verschiedenen Charakteren, die alle auf ihre eigene Art und Weise überdreht, aber liebenswert sind. So z.B., wenn die zu Hysterie neigende Clare sich mal wieder in ein Katastrophenszenario („Wir werden alle sterben!“ – oder schlimmer noch, von der Schule geworfen) hineinsteigert und dann die in ihrer ganz eigenen Welt lebende Orla mit einem durch und durch naiven Kommentar (oftmals ohne ersichtlichen Zusammenhang) allen Ärger in der Luft verpuffen lässt.

Auch die Familien der Cliquenmitglieder sind schräg, schrullig und spielen mit vielen Stereotypen. Schulfeindin und Antagonistin Jenny (Leah O’Rourke), die sich immer wieder durch schräge Gesangs-Nummern oder Schulfest-Ideen hervortut, kann einem mit ihrer Fieps-Stimme schon fast leid tun. Doch die Abneigung überwiegt.

Die Serie von 2018 ist auf Netflix nur im Originalton verfügbar. Oftmals habe ich mir zusätzlich noch den englischen Untertitel anschalten müssen, da das irische Englisch doch manchmal ganz schön hart zu verstehen ist. Regisseur Michael Lennox folgt mit der Serie, die inzwischen zwei Staffeln hat, grob einem Handlungsrahmen. Jedoch lassen sich die zwanzigminütigen Episoden fast schon unabhängig voneinander schauen. Doch auch ohne Cliffhanger ist die Serie mitreißend und die Charaktere wachsen einem schnell ans Herz, auch wenn es die ein oder andere etwas lahmere Episode gibt. Dass man nebenher noch etwas für das eigene Geschichtswissen tut, kann dann auch nicht schaden.

Zum Trailer der ersten Staffel: https://youtu.be/UFmFuXH0IRY