Ich schaue üblicherweise weder den Bachelor, noch habe ich Prince Charming geschaut. Reality-TV beschränkt sich bei mir auf Germanys Next Topmodel-Exzesse. Meine Youtube-Vorschlagsliste war scheinbar anderer Meinung. Und so wurden mir alle paar Tage die Kommentar-Videos der großartigen Annikazion zu “Princess Charming” vorgeschlagen.
In einer Samstagmorgen-Langeweile habe ich mir dann doch ihr Video zur ersten Folge des neuen Streamingformats angeschaut und war fasziniert. Denn da war auf einmal ein Haufen an bunt gemischten Frauen: schlau, höflich, mit eigenen Themen und dabei aufmerksam für ihre – ja eigentlich – Konkurrent*innen. Denn ganz klar: Princess Charming hat das gleiche Prinzip, wie die Hetero-Varianten „Der Bachelor“ bzw. „Die Bachelorette“.
Wer braucht schon eine Bachelorette, wenn es auch eine Princess Charming sein kann
Princess Charming, in diesem Fall Irina Schlauch, ist eine attraktive Single-Frau, die in einer Villa in Griechenland die Chance hat, 20 andere Singles kennenzulernen. Diese leben für die Laufzeit der Produktion gemeinsam in einem Haus (die Princess „wohnt“ woanders) und nehmen – nach Auswahl der Princess bzw. des Produktionsteams – an Einzel- und Gruppendates teil. Dort haben sie die Möglichkeit, die Princess kennenzulernen und wenn gewünscht, von sich zu überzeugen.
Abends trifft man sich in der Villa und feiert gemeinsam in der sogenannten „Happy Hour“ oder auch Ladys Night. Auch hier besteht natürlich nochmal die Möglichkeit sich (oder auch gerne mal Speichel) auszutauschen. Danach muss Irina eine Entscheidung treffen und eine oder mehrere Kandidat*innen nachhause schicken. Der Clou an einem Format mit homo- und bisexuellen Teilnehmenden: Hier kann es natürlich auch untereinander interessant werden, was einige der Kandidat*innen auch ausprobieren bzw. thematisieren. So viel sei mal gesagt, da wird es dann auf einmal ziemlich moralisch… und auch spannend.
Mission und Reality
Unter den Teilnehmer*innen sind ganz klar einige, die mit einer Mission in diese Sendung gegangen sind und ein Zeichen setzen wollen. Die Interviews in der Sendung (und auch im Youtube-Kosmos außenrum) sind reflektiert und interessant, man erfährt als Zuschauerin viele Dinge über Sexualität, Sex, Outings, Körperbilder und die (oftmals sehr unterschiedlichen) Schwierigkeiten, die lesbische Frauen einfach immer noch in unserer Gesellschaft haben. Diesen Themen wird in der Sendung auch explizit Raum gegeben – dabei wirkt das Ganze nur selten inszeniert und immer sehr real (zumindest für Reality TV).
So ganz ohne Reality TV-Charme kommt natürlich auch dieses Format nicht aus. So sieht man in den Einspielern zur Vorstellung der Kandidat*innen wieder mal seltsamste Posen im glitzernden Sonnenschein. Über dem lasziven Ausstieg aus dem Meer oder dem grundlosen Shaken von Champagnerflaschen, dürfen die Teilnehmenden in furchtbar auswendig gelernt klingenden Sätzen, ihre Qualitäten anpreisen. Naja, es ist nun mal immer noch RTL und so ein bisschen erwarten wir diese kleinen Cringe-Momente ja auch.
Zu nasty fürs Fernsehen?
Ganz klar ist auch: Die Kandidat*innen kommentieren alle Situationen im Nachhinein in (bestimmt beim Dreh sehr langen) Interviews nochmal. Sie erklären und rechtfertigen ihr Handeln, bewerten die Situation und geben dem ganzen einen gewissen Rahmen. Ungewöhnlich für so ein Format dabei ist einerseits der sanfte Ton der immer untereinander angeschlagen wird und der der “Aufklärungsaspekt”. So wird im O-Ton dann auch mal der klitorale Orgasmus erklärt – anhand eines Cupcakes mit Vulva oben mdrauf.
Natürlich sind auch insgesamt Kandidat*innen dabei die polarisieren. Es gibt aber klare Grenzen, wie die erste Folge zeigt, als zwei Kandidat*innen, aufgrund einer vermutlich körperlichen Auseinandersetzung, gehen müssen. Die Auseinandersetzung wird dabei nicht gezeigt, sondern nur ein Hinweistext eingeblendet – ungewöhnlich für RTL. Aber der Sender möchte sich ja eh ein neues Image zulegen – schade, dass man sich mal wieder nicht traut, diese Sendung direkt im TV zu zeigen. (TVNow ist das Streamingangebot von RTL.)
Die Bedeutung von Princess Charming
Auch anderes Fehlverhalten bzw. Meinungsverschiedenheiten werden von den Teilnehmenden thematisiert und ausdiskutiert. Dabei geht man auch mal mit unterschiedlichen Ansichten auseinander und auch wenn es hoch hergeht, gehen danach doch alle friedlich aus der Diskussion heraus.
Als heterosexuelle Frau kann und will ich nicht allzu viel über die Bedeutung von „Princess Charming“ für lesbische Personen urteilen. Doch aus meiner Sicht stehen die Kandidat*innen für noch viel mehr. Sie zeigen wie Frauen sind – total unterschiedlich (bisschen mehr Diversity hinsichtlich ethnischer Herkunft etc. wäre supi gewesen) und nicht nur, wie Frauen gerne vom TV und der Gesellschaft (angeblich) gesehen werden wollen. Unter den Teilnehmenden sind Cheerleaderinnen und Fußballerinnen gleichermaßen. Und auch wenn es sich nun dem Finale nähert, sind die Typen (allein optisch) immer noch ziemlich unterschiedlich.
Es geht um mehr als nur beleuchtete Fußballstadien
Natürlich kann man sich jetzt die Frage stellen: Braucht man das? Aber dann ist man – gerade als heterosexuelle Person – halt doch ganz schön anmaßend. Dabei geht es gar nicht nur um Diskussionen über bunt beleuchtete Fußballstadien oder körperliche Gewalt gegen Homosexuelle weltweit, auch in EU-Staaten und in Deutschland. Es geht ganz oft einfach um Alltägliches. Auch in der Sendung sprechen die Teilnehmenden über ihr Outing, bei einigen wird es als unproblematisch beschrieben, andere hingegen erzählen, dass ein Teil ihrer Familie bisher nicht über ihre Homosexualität Bescheid weiß. Umso mutiger, sich bei so einem TV-Format zu engagieren. Und auch abseits des Outings, hört man aus den Erzählungen heraus: Immer noch erfahren homosexuelle Frauen Diskriminierung in ihrem Alltag, werden sexualisiert und in ihrer Sexualität nicht ernst genommen.
Auch in der FAZ oder anderen Medien, wird die Serie positiv besprochen. Wer jetzt sagt „Wir sind doch schon weiter. Homophobie ist kein Problem hier“, der muss nur mal in die Instagram-Kommentare zum FAZ-Artikel schauen. (Warum es da mit dem Spruch „Dann halte dein Liebesleben doch privat!“ nicht getan ist, erklärt übrigens auch dieser Krautreporter-Artikel (Bezahlschranke).)
Role Models für alle
Die Teilnehmer*innen sind darüber hinaus nicht nur Role Models für lesbischen Frauen, sondern für alle. Sie sind Vorbilder für Freundschaften unter Frauen (eine teilnehmende Person identifiziert sich als nicht binär), für Zusammenhalt in einer Gruppe und für ihre Community.
Auch wenn mich meine Vermutung in den kommenden Monaten bestimmt an der ein oder anderen Stelle trügt, ich habe nicht den Eindruck, dass die Teilnehmenden damit lediglich ihre Karriere im TV und auf Instagram pushen wollen. Ein eingeschworener Teil der Frauen, zeigt sich auch parallel zur Ausstrahlung gemeinsam auf Instagram. Sie feiern, sie tanzen, sie knutschen auch mal rum, sie machen gemeinsam Urlaub. Sie haben einfach eine gute Zeit und zeigen, wer sie sind oder auch wer sie sein wollen. „Princess Charming“ macht mich beim Ansehen ziemlich glücklich, regt mich zum Nachdenken an und gibt mir einfach ein gutes Gefühl.

Die Videos von Annikazion zu “Princess Charming” findet ihr in der unten verlinkten Playlist. Den offiziellen Trailer von TVNow wollte ich nicht verlinken, da er dem Format nicht gerecht wird: https://youtube.com/playlist?list=PL43aFuUQsZisrEQZlhypvz9Sb-6Rcl-uP