Im Kopf des Detectives – Schattenstill

Ein perfektes Einfamilienhaus – in einer geisterhaften Siedlung; ein glückliches Paar – gebeutelt von der Finanzkrise; ein gemütliches Wohnzimmer – mit mysteriösen Löchern in der Wand. Tana Frenchs “Schattenstill” ist beklemmend, aber nicht gruselig: ein toller Krimi mit viel Ermittlungsarbeit.

Schon seit meiner Kindheit bin ich ein großer Krimi-Fan. Ehrlicherweise muss ich aber auch sagen: Ich war und bin eine kleine Schisserin und bin somit als Kind nie über die “Fünf Freunde” hinaus gekommen.

Inzwischen schaue und lese ich immer noch gerne Krimis, brauche aber auch manchmal Pause davon. Jetzt habe ich wieder ein Buch meiner Lieblings-Krimiautorin in der Hand: Schattenstill von Tana French. Und Frenchs Bücher sind wirklich einzigartig.

In Schattenstill geht es um den Mord an einer Familie, bei dem im ersten Moment alles recht klar zu sein scheint. Es ist wohl das, was die Bild-Zeitung so unpassend als „Familiendrama“ bezeichnen würde. Andere würden sagen: mehrfacher Mord plus Selbstmord. Mutter und Vater wurden scheinbar erstochen, die beiden Kinder erstickt. Aufgrund der äußeren Umstände fällt der Verdacht schnell auf den Vater. Die Familie lebte in einem Siedlungsgebiet an der Küste Irlands, in trostloser Umgebung. Nach außen hin gaben sie ein stabiles Bild ab, obwohl der Vater aufgrund der Finanzkrise seinen Job verlor.

Die Suche nach dem Motiv ist alles

Ermittler und Erzähler ist Detective Mike Kennedy, der auch den neuen Detective Richie in diesem Fall gleich anlernen soll. Beide arbeiten im Morddezernat der Stadt Dublin in Irland. Dabei möchte der alt-eingesessene Detective zeigen, wie es läuft. Doch wie man so schön sagt, hier ist nichts, wie es scheint. Im Haus der Familie befinden sich mysteriöse Löcher in den Wänden und Babyphone mit Videofunktion überwachen verschiedene Stellen im Haus. Wurde die Familie möglicherweise von einer Stalkerin oder einem Stalker heimgesucht? Oder wurden sie von Einbrüchen geplagt?

Buchcover von "Schattenstill" von Tana French

Das Besondere am Tana Frenchs Romanen lässt sich an diesem Beispiel wunderbar erklären. Wir werden meist mit einen Mordfall konfrontiert, den Krimileser*innen nicht unbedingt als spektakulär einschätzen würden. Meist handelt es sich eher um „klassische“ Verbrechen, wenn ich das mal so sagen darf. Doch der Weg zur Lösung des Verbrechens ist über 600 Seiten dick und zeigt von Verhören, über Tatort-Untersuchungen, bis hin zu falschen Fährten, den langen Weg einer Ermittlung. Erzählt wird aus der Sicht der/des Ermittelnden, was uns viele innere Monologe und Gedankengänge beschert. Das kann einen im ersten Moment etwas abschrecken, ist aber wahnsinnig spannend.

Charakterstudie aus einer Sicht

French taucht jedes Mal tief in den Charakter ein, was dafür sorgt, dass in jedem Buch andere Blickwinkel, Ansätze und ein anderer „Gedankenstil“ zum Einsatz kommen. In diesem Fall haben wir mit Detective Kennedy den harten Hund, der bereits mit allen Wassern gewaschen ist und dabei doch nicht fehlerfrei. Besonders an dieser Erzählweise ist auch, dass Ermittler*innen aus anderen Romanen im gleichen Dezernat arbeiten und als Nebenfiguren vorkommen. Dabei handelt es sich aber nicht um kleine Cameo-Auftritte oder Easter Eggs. Sie treten als reine Nebenfiguren auf, die auf einmal – aus anderer Perspektive gesehen – ganz schön anders erscheinen. Ermittler*innen, die in einem Buch aus Protagonist*innen-Sicht als extrem unsympathisch beschrieben sind, sind im nächsten Buch Hauptermittler*in und erzählen die Geschichte.

In Schattenstill ist auch die Dynamik zwischen den beiden Ermittlern – Profi und Neuling – spannend. Die beiden ergänzen sich gut, werden aber nicht, wie in anderen Krimis üblich, zu einem perfekt passenden Duo stilisiert. Die Story bleibt bei Kennedy und wir erleben Richie ausschließlich aus seiner Sicht. Das lässt mich manchmal – besonders gegen Ende – ziemlich schlucken, weil ich das Gefühl habe, dass hier eine der beiden Personen „unfair“ behandelt wird. Aber auch das ist ein Teil des Stils, wir sehen immer nur eine Seite der Medaille. Trotzdem ist auch Richie als Ermittler wichtig und Mike Kennedy als „alter Hase“ nicht unfehlbar.

Wir bleiben bei der Ermittlungsarbeit

Die privaten Belange von Detective Kennedy spielen in Schattenstill durchaus eine Rolle, was manchmal etwas zu viel Raum einnimmt. Auch in anderen Büchern der Autorin wird natürlich, neben den Gedanken zum aktuellen Fall, auch das Privatleben der Ermittelnden thematisiert. Das geschieht jedoch fast immer nur mit Bezug auf die Ermittlungsarbeit bzw. das Thema. Das ist zwar auch hier der Fall, trotzdem hätte dieser Teil durchaus etwas kürzer sein können.

Besonders an Frenchs Krimi ist auch, dass wir als Lesende nicht mehr wissen als die Ermittler*innen. Es gibt keine allzu mysteriösen Prologe, keine Einwürfe mit undefinierbaren Erzählstimmen und auch keine Kapitel mit Sprüngen in die Zukunft oder die Vergangenheit. Die Ermittlungsarbeit und besonders die Gespräche mit Zeug*innen werden sehr genau beschrieben, was das Leseerlebnis auch manchmal anstrengend machen kann. Doch auch hier bekommen wir wieder ein Bild von „echter“ Ermittlungsarbeit und die ist eben oftmals mühsam.

Wer Lust hat auf spannende Fälle, kantige Ermittler*innen, viel Ermittlungsarbeit und feine Plott-Twists, der ist bei den Krimis von Tana French immer gut aufgehoben.